Separat-Abzug aus der Festschrift
50 Jahre Schweizerische Kynologische Gesellschaft
1883-1933
Der Zughund in der Schweiz by Dr. ALB. Heim, a Prof. 1932
Noch zur Zeit der Gründung der S. K. G. gab es viele
Hunde-freunde, die das Ziehen höchstens einem Köter, aber niemals einem edlen Rassehunde
zumuten wollten. Aber heute wissen wir: Die Arbeit adelt. Der arbeitslose Hund ist ein
Unglück wie der arbeitsiose Mensch.
In der Schweiz mögen Munde schon in vorhistorischer Zeit an den
Schlitten oder an herbeizuschleppendes erlegtes Wild gespannt worden sein. Die Römer
brachten uns dann vor etwa 2000 Jahren Rad und Wagen und den Zughund. Durch das ganze
Mittelalter ist wahrscheinlich der Zughund in unserem Lande sehr verbreitet gewesen. Daß
die Notizen darüber aus der historischen Vergangenheit so spärlich sind, beweist nur,
daß der Zugbund ganz allgemein und selbstverständlich war. Er hatte immer seine größte
Bedeutung in der Umgebung der Städte und Marktflecken zum Transport der Ware kleinerer
Produzenten oder Händler. Metzger, Bäcker, Gärtner, Milch-, Butter- und
Käselieferanten und viele andere mehr waren mit Llundefuhrwerk trefflich versorgt.
Besonders ist der Zughund oft der Helfer von Witiwen. Er zieht nicht nur den Wagen, er
beschützt ihn auch, und benötigt nicht eines Stallgebäudes, nicht Extrafutter und
Streue; wohl aber verrichtet er noch andere Dinge, im besondern ist er der Beschützer der
Familie und ihres Eigentumes. Im Anfang des letzten Jahrhunderts gab es in der Schweiz
noch viel mehr Zughunde als jetzt. Ungefähr in dessen Mitte begann ein zunehmender R ü c
k g a n g. Leider fehlt jede Aufzeichnung über die Zahl der Zugbunde der Schweiz in
verschiedenen Jahren und Kantonen.
Z w e i U r s a c h e n bewirkten den Rückgang in
der Benutzung des Hundes zum Ziehen:
Erstens: Die große Zunahme anderer Verkehrs- und Transportmittel aller
Art.
Zweitens: Die systematische Arbeit unverständiger
Tierschutbeflissener, die die Behauptung aufstellen das Ziehen der Hunde sei
Tierquälerei. Sie drängten sich den gesetzgebenden Behörden als
,,Sachverständige" zur Errichtung besonderer Gesetzesbestimm- ungen auf. Da der
Zughund doch nicht einfach verboten werden konnte, erzwangen sie Bestimmungen, welche
praktisch den hund mehr und mehr ausschalteten und ihm die sonst so gesunde, fröhlich
verübte Arbeit wirklich zur Tierquälerei machten.
Am besten haben diejenigen Kantone getan, welche den Zug-hund mit Pferd und
anderen Zugtieren einfach in die guten, allgemeinen Bestimmungen über Tierschntz e i n g
e s c h 1 o s s e n ii e 13 e n. Das W a li s e r
Tierschutzgesetz sagt klar und einfach und für alle Fälle richtig: ,,Die Haustiere
sollen angemessen gepflegt und genährt werden. Uebermäißige Anstrengung derselben ist
untersagt". In ähnlicher Weise sind 11 bis 12 Kantone einfach und klar bei den
älteren Gesetzen geblieben, nämlich: Bern Uri, Schwyz, Obwalden, Freiburg, beide
Basel, Schaffhausen, Graubünden, Tessin, Waadt, Wallis u. z.T. Genf. Dagegen haben die
Kantone Solothurn Zürich, Glarus, Aargau, Appenzell A.-Rh. , St.
Gallen, Luzern, Nidwalden, Zug sich und den Zughund in einen besonderen Haufen von zum
Teil sehr unglücklichen, verständuislosen Paragraphen verwickelt und vergraben. Sie
haben für ihr Gebiet sein wertvolles Dasein verstümmelt und vernichtet.
Unter diesem Druck unvernünftiger Gesetze sind Tausende von Zughunden
ausgeschaltet, viele getötet, Nachfolger nicht mehr gezüchtet worden. Ihre Zahl ist
schätzungsweise in der ganzen Schweiz in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts auf
die Hälfte, in den Kantonen mit den neuen Gesetzen auf
Beim Zugbunde handelt es sich selbstverständlich
zunächst nicht um Rassereinheit. Es kommt nur darauf an, daß der Hund groß und stark
gebaut und gesund ist, und daß er intelligent genug ist, um seine Arbeit zu leisten und
zu begreifen. So finden wir denn unter den guten Zughunden unseres Landes mannigfaltige
Bastarde. Die besten Abstammungswurzeln waren gegeben durch die Molosser, welche die
Römer vor bald 2000 und abermals vor 1800 bis 1900 Jahren in unser Land ge bracht hatten.
Aus dem leichteren Typus sind sehr wahrscheinlich die schweizerischen Sennenhunde, aus dem
schwereren die St. Bernhardshunde entstanden. Im Mittelalter fand anscheinend wenig
Rassenaustausch unter den verschiedenen Ländern statt. In den Jahren 1750 bis 1850 und
später noch einmal brachten nns zuerst die Engländer Neufundländerhunde, die vielfach
als vorzügliche Zugbunde dienten. Sie waren damals meistens größer, als die
Bernhardiner heute sind. Dänische und deutsche Doggen kamen allmälig dazu, gelegentlich
sind auch kleinere Hunde, seit 1870 sogar deutsche Schäferhunde verbastardiert zu
Zugbunden verwendet worden.
Der beste Grundstock nicht nur, sondern auch die vollkommenste Ausbildung der
Zugbunde war uns in der Schweiz gegeben durch die Rasse der ,,Großen Schweizer Sennenh u
n d e´´ früher auch ,,Metzgerhunde" oder ,Große Blässe´´ genannt und zugleich,
nahe an die großen heran reichend, die stammverwandten, etwas kleineren und langhaarigen
,,B e r n e r 5 e nn e n h u n d e" (Dürrbächler). Diese beiden Schweizerrassen
sind sicherlich während vielen Jahrhunderten die fast einzigen und häufigsten Zughunde
vor allen anderen gewesen. Stete Auswahl und Zuchtwahl unter Verwendung zum hirten,
Treiben, Beschützen und zum Ziehen der Wagen hat diese Tätigkeiten zu Instinkten
befestigt. Wenn man einen solchen Hund zum ersten Male einspannt, so benimmt er sich
meistens schon so, als wäre das, was da geschieht, alles selbstverständlich. Nach ¼ Stunde Anweisung zieht er schon mit Stolz und Eifer, hält an auf
Zuruf und läßt sich bald lenken.
Der alte große Neufundländer ist jetzt bei uns und auch in Deutschland und
Frankreich ganz verschwunden. Zum letzten Mal sah ich noch als Zughund einen solchen an
einer Ausstellung vor etwa 25 Jahren in München. In der Schweiz lebt er wohl nur noch in
Bastarden als den Ausläufern. Dagegen sind, erst seit etwa dem Jahre 1800 Bernhardiner
und Bernhardiner-bastarde vielfach zum Ziehen verwendet worden. Das Anlehren zum Zug geht
etwas weniger rasch als bei den Sennenhunden, aber viele gewöhnen sich gut und arbeiten
sehr gut. und mit Freude.
Die Guggisberger Korbflechter brachten früher stets mit von Berner
Sennenhunden gezogenen Wagen ihre Waren zu Markte nach Bern. Jene Gegend zwischen Aare und
Schwanwasser (Riggisberg, Burgistein, Gurnigel, Quggisberg bis Schwarzenbach) wird nach
dem dortigen Dürrbach genannt und der Hund, den die Leute von dort nach Bern brachten,
hieß ``Dürrbächler". Jahrhunderte, zwar noch ohne diesen Namen, war der
Dtirrbächler der Nationalhund des ganzen Kantons Bern und anstoßender Gebiete. Das
Dürrbachgebiet beherbergte gegen Ende des letzten Jahrhunderts diese Rasse nicht als
Ausgangsland, sondern als noch ein Rest aus früherer Zeit viel größerer Verbreitung.
Nachdem es uns 1904 bis 1910 gelungen war, den Dürrbächler zur kynologischen Anerkennung
zu bringen, uni ihn nach seiner früheren Verbreitung ,,B er n er 5 e n n e n h u n
d" zu nennen, wurden solche Hunde wieder vielfach verlangt. Den Korbflechtern von
Guggisberg wurden ihre Kunde auf dem Markte in Bern abgekauft. Schließlich war das
Reliktgebiet ausverkauft und man mußte sich dort um andere Zughunde umsehen. Bernhardiner
und Bernhardinerbastarde ziehen jetzt die Wagen der Guggisberger.
Am Gebrauch der Hunde zum Ziehen hat sich die 5. K. G. ursprünglich nicht
aktiv beteiligt. Wohl aber hat sie manche derselben (Neufundländer, Bernhardiner und
Sennenhunde), wenn sie rasserein und vom Richter gut beurteilt wurden, gerne in ihr
Stammbuch aufgenommen. Das war die Regel bei den G roß e n Schweizer Sennenhunden, die
erst 1908 bis 1912 beachtet und vom Verschwinden eben noch gerettet worden sind. Herr Ja u
ss i (Olten) Präsident des Klubs für »Große Schweizer Sennenhunde schätzt den
jetzigen Bestand g u t er Tiere dieser Rasse in der ganzen Schweiz auf wieder 250 bis 300.
Einst waren es wohl zehnmal so viel, und darunter viele ohne Schwarz, ganz rotgelb. Die
Zuchtrichtung geht ganz auf die ältesten, schwarzen Hunde mit rotgelben und weißen
Abzeichen. Der ,,Große Schweizer Sennenhund übertrifft an Schönheit, Kraft, Eignung und
Charakter alle bisher verwendeten Zugbunde, eingeschlossen den Belgischen, bei weitem. Er
ist der beste Zughund, den es gibt!
Herr Jaussi berichtet mir im Oktober 1932, daß die Nachfrage nach ,,Großen
Schweizern" immer gut sei. Im Jahre 1932 erhielt er zirka 30 Anfragen, darunter drei
aus Deutschland. In ihren Zuchtgebieten werden sie sehr viel zu regelmäßigem Zug
verwendet, so vorwiegend im Kanton Bern (besonders Oberaargau) und in den Kantonen Luzern,
Aargau, Solothurn, Freiburg und Thurgau. Im Kanton St. Gallen sind Zucht und Verwendung
zur Zeit eher etwas zurückgegangen.
Eine interessante Erscheinung in unserem Gebirge ist die Gruppe Achter Es k
im oh u n d e auf Jungfraujoch. Sie ziehen die Reisenden zur Konkordiahütte und wieder
herauf, und im Winter Post und Proviant etc. von Wengen oder Scheidegg an die Station
Eigergletscher, wo sie ihren ldauptstandort haben. (Näheres darüber mit Bildern in ,,Der
Zughund" , S. H. S. B. XX IX, 1939.) Unser Talklirna halten
sie nicht aus. An eine weitere Verbreitung als Zuchtbund in unserem Lande ist kaum zu
denken. Nur auf den auch im Winter bewohnten Hochpässen (Bernina, Gotthard und wenige
mehr) könnten sie nützlich sein.
Ausstellungen und Prüfungen von Zugbunden sind schon oft in Belgien,
Deutschland und Oesterreich abgehalten \N-orden. In der Schweiz haben wir unter dem
Protektorat der S. K. G. eine erste solche 1909 in Zürich und dann 1903 und 1913 weitere
in Langenthal, und am 12.V. 1929 in Bern veranstaltet. Dabei galt es n i c h t d e m 5 p o
r t mit Rekorden. Vielmehr galt es, zu zeigen, wie der Zughund seine normale Arbeit
leistet, wie er sich dabei benimmt, und wie er dazu geeignet ist. Es galt, Kritik
zu üben am Hund, seiner Pflege, dem Wagen, dem Geschirr, um einen edlen Wetteifer unter
den Zugbundhaltern zu wecken und dieselben zu beraten.
Bei diesen Zugbundeprüfungen zeigte sich immer, daß die Hunde große Freude
an ihrer Arbeit hatten: Sie stellten sich sofort wedelnd in ihr Geschirr, keinec war dabei
unwillig. Alle zogen sehr gut. Sie zogen eine bedeutende Last auch bergan, odec über
frisch gekieste Straße mit der gleichen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, wie auf
glatter, ebener Straße. Zur Leitung diente meistens nur das Wort. Peitschen werden bei
uns nirgends gebraucht. Zug im Schritt paßt den Hunden nicht, das ist z u a n s t r e n g
e n d. Der Hund will wenigstens in langsamem, noch lieber in s c h n e ll e m T r a b
ziehen. An keinem der Tiere fanden wir irgend ein Gebrechen das als Folge ihrer täglichen
Zugarbeit gedeutet werden könnte. Unsere Tierärzte kennen iiberhaupt keine durch das
Ziehen entstehende Krankheit bei den Zug-hunden. Manche sind mit 12 bis 14 Jahren noch
gute, muntere Gesellen. Die Zughunde sind die glücklichsten, diejenigen, die am längsten
jung bleiben. Sie überleben die Arbeitslosen! Die erbarmungswiirdige Kreatur, die uns die
Phantasie mancher Tierschutzleute vormalt, wo der magere, halbverhungerte Hund keuchend
unter Schimpfen und PeiLschenhieben seine Arbeit verrichtet, habe ich nie und nirgends
gefunden. Allerdings möchte ich den Zughund nicht jedem Volke anvertrauen. Bei der
Verwendung im Kriege werden Tierquälereien unabwendbar sein. Das liegt aber nicht am
Prinzip des Ziehens, sondern an der Menschen-Sünde, die Krieg heißt.
Der geübte Zugbund zieht ohne besondere Anstrengung das Fünf- bis Zehufache
seines eigenen Körpergewichtes, oder 300 bis 350 kg. Im Verhältnis zum Gewicht des
Zugtieres übertrifft der Zughund, und im besondern der ,,Große Schweizer Senn e u h u n
d´´ in seiner Leistung bei weitem Pferd, Esel und Kamel. Zugbunde leichterer Art, wie
die Polarhunde, sind am Platze, wo es sehr auf große Geschwindigkeit und große Distanzen
ankommt, passen aber nicht in unser Land. Welches Gewicht zwischen 100 und 500 kg zu
ziehen dem Hunde zugemutet werden darf, läßt sich nicht in Zahlen fixieren. Wohl aber
wird der Kenner auf den ersten Blick sehen, ob ein ziehendes Tier überfordert ist, oder
nur mäßige, angepaßte Arbeit verrichtet.
Die erste kräftige Handlung der S. K. 0. in Sachen Zughund bestund darin,
daß sie in Band XXIX des 5. H. 5. B. 1930 meine zusammenfassende Arbeit über den Zughund
aufgenommen bat (in Separatabdrücken durch den Stammbuchführer noch zu erhalten). Dieser
Aufsatz ist auch reichlich an die kantonalen Regierungen, gesetzgebenden Organe,
Tierschutzvereine gesandt worden. Wohl habe ich von den Leitern einiger Tierschutzvereine
die Versicherng ihrer Uebereinstimmung mit meinen Darlegungen erhalten. Doch zum Sturmlauf
hat noch niemand ausgeholt. Aber alimälig muß es besser werden! Wir müssen den Hund
befreien aus den quälenden Fesseln verkehrter Qes e t z e. Es gibt nur den einen Weg zur
Rettung, das ist die Totalrevision der betreffenden schmachvollen und würgerischen
kantonalen Gesetze.
Zürich,7.X.1932.
Dr.Albert Heim,a.Prof.